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GOTT UND DIE WELT
Zürcher Institut für interreligiösen Dialog ZIID
Engel im Christentum
Vielseitig, hilfsbereit, geduldig und irgendwie auch
sehr sympathisch. Das sind vielleicht die zentralsten
Charaktermerkmale, mit denen Engel in der christlichen Tradition dargestellt werden.
Die beiden berühmten Engelchen der Sixtinischen Madonna von Raffael schmücken
heute die verschiedensten Gegenstände des täglichen Gebrauchs: Tassen,
Pralinenschachteln, Servietten, Spirituosenflaschen und
neuerdings auch Smartphone-Hüllen.
Der Vielfalt der Erscheinungsformen der Engel begegnen
wir tatsächlich bereits in der Bibel – als geflügelte
Wächter, als menschengleiche Begleiter oder als
lichtvolle Wesen. Ihre zentrale Aufgabe besteht darin,
den Menschen wichtige Botschaften von Gott zu
überbringen. Das deutsche Wort Engel geht auf das
griechische Wort angelos zurück, das mit Bote oder
Gesandter übersetzt wird. Engel als persönliches
Schutzamulett oder Modeaccessoire kennen die Bibel
und die christliche Theologie nicht.
Als Gottes Geschöpfe selbst bringen die Engel im
Christentum vielmehr Gott den Menschen näher, und
zwar im wahrsten Sinne des Wortes. In der Nacht der
Geburt Jesu verkündet beispielsweise der Engel den
Hirten: «Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter
geboren» (Lk 2,11). Durch Engel erhalten so Gottes
vielseitiges Wirken und seine Nähe zu den Menschen –
auch in «gottfernen› Momenten» – ihr konkretes Gesicht.
Und vielleicht ist es gerade das, was uns auch heute an
Engeln so fasziniert.
Engel im Islam
«Es ist keine Frömmigkeit, wenn ihr eure Angesichter in Richtung Osten oder
Westen wendet; Frömmigkeit ist vielmehr, dass man an Allah glaubt, den
Jüngsten Tag, die Engel, das Buch und die Propheten und vom Besitz, obwohl man ihn liebt, den
Verwandten gibt, den Waisen, den Armen, dem Sohn des Weges, den Bettlern und (für den Freikauf von)
Sklaven, dass man das Gebet verrichtet
und die Zakah entrichtet. Es sind diejenigen, die ihr Versprechen
einhalten, wenn sie es gegeben haben; und diejenigen, die in Elend, Not
und in Kriegszeiten geduldig sind; sie sind es, die wahrhaftig und
gottesfürchtig sind.» So steht es im Koran in Sura 2, Vers 177. Damit gehört
der Glaube an Engel
zu den Grundprinzipien des Islams.
Engel spielen sowohl bei der Schöpfung als auch bei der koranischen
Offenbarung und der Eschatologie eine wichtige Rolle. Engel gelten als
Boten, insbesondere Djibril (Gabriel), der bei
der Offenbarung des Korans an den Propheten Muhammad von zentraler
Bedeutung ist. Am Ende der Zeit wiederum «…wird sich der Himmel
mitsamt den Wolken spalten und die Engel werden ununterbrochen
herabgesandt. » (Q. 25,25).
«Der Engel des Todes, der über euch eingesetzt wurde, wird euch
abberufen; dann werdet ihr zu eurem Herrn zurückgebracht. » (Q. 32, 11)
Engel sind gewissermassen Buchhalter, wenn es um die
Rechenschaftspflicht des Menschen gegenüber Gott geht. Sie führen
Buch darüber, was man als Mensch im Leben an Gutem und Schlechtem
getan hat.
Engel im Judentum
Das Judentum konzentriert sich auf das Handeln in dieser Welt. Doch der ununterbrochene Anbetungsdienst von himmlischen Wesen in Gottes Gegenwart wird von vielen im Morgengebet erwähnt als
Hintergrundszene für das eigentlich Wichtige: «Heilig, heilig, heilig ist der Ewige, Zebaot.» Im Lied «Schalom Aleichem» zu Beginn des Schabbats symbolisieren die «Boten des Friedens» menschliche Gefühle. «Engel»
ist die Übersetzung des hebräischen Wortes «mal’ach», das schlicht «Bote» bedeutet. Der Prophet Elija ist beispielsweise der «Bote des Bundes». Und der Sieg über den Malach HaMawet, den Boten des Todes, wird in
einem Kinderlied besungen.
Talmud und Midrasch sind erfinderisch in der Namengebung der Boten göttlicher Gegenwart. Bekannt ist das Gedicht: «Rechts von mir ist Michael (Wer ist wie Gott), links von mir ist Gavriel (Meine Kraft ist Gott), vor
mir ist Uriel (Mein Licht ist Gott), hinter mir ist Raphael (Es heilt mich Gott), über mir ist Gottes Gegenwart.»
Eine bekannte Geschichte, die manchmal mit einem Engel illustriert wird, enthält in Wirklichkeit keinen: Jakob kämpft mit einem «isch», einem Mann (Gen 32,25). Doch in seinem Traum von der Himmelsleiter sieht
Jakob tatsächlich Boten Gottes, wie sie hinauf in den Himmel steigen und, oben angekommen, von dort wieder hinunter (Gen 28,12). Was ist mit diesen «Boten» eigentlich gemeint? Das Judentum definiert nichts. Es
steht jedem frei, seine Meinung zu haben.