«Ich habe wure ganze
Schuld vergeben;
sie ist verschwunden
wie der Nebel vor der Sonne»
Der Turmbau zu Babel ist ein uraltes Bild
Ich hatte eine Wunde, keine grosse, aber an einer Stelle, an der sie bei jeder Bewegung schmerzte. Meine
Wundheilsalbe - die ich seit meiner Kindheit kenne - tat ihre Wirkung. Noch wohliger wäre es vielleicht
gewesen, jemand anders hätte mich damit verarztet, hätte dabei meinen Ellbogen unter die Lupe genommen,
vorsichtig geschaut, aufmerksam Salbe aufgetragen. Auch Zuwendung und ein Wort der Ermutigung sind
heilsam.
In Zeitungs-Kommentaren über Sinn und Zukunft von Kirchen lese ich nicht selten vom «Seelenheil». «Für ihr
Seelenheil brauchen viele Menschen die Kirchen nicht mehr», begann erst unlängst ein Kommentar in einem der
grossen Zürcher Blätter. Dass in diesen und ähnlichen Zusammenhängen immer wieder die Rede vom
«Seelenheil» ist, macht mich stutzig. Inmitten kühler Effizienzüberlegungen und Texten, die einen rational
abgeklärten Klang haben, erscheint das Wort vom Heil der Seelen wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten: alt,
verstaubt - und doch wie verzaubert. Es wäre bestimmt interessant nachzuforschen, wo dieses Wort seine
Ursprünge hat, in welche historische Not es hineingeboren wurde. Worte sind Kinder ihrer Zeit. Wenn sie
Zeiten überdauern, dann vielleicht auch weil ihnen ein Bedürfnis, eine Sehnsucht zu Grunde liegt, die universal
ist.
Ich merke, dass mir keine einfache Antwort einfällt, was denn Seelenheil sei und wie es zu erreichen wäre.
Was mir dazu in den Sinn kommt, sind die Erzählungen und Geschichten von Jesus, von so mancher Prophetin
und weisen Gestalt, also die alte Überlieferung der Bibel. Auch sie kenne ich seit meiner Kindheit. Ähnlich
vielleicht meiner Wundheilsalbe sind sie reich und gehaltvoll. Sie «ziehen nicht schnell ein», wie eine dünne
Handcreme oder ein seichtes Geschichtchen, sie sind anspruchsvoll, essentiell, vielschichtig - heilsam auf
einer Ebene, welche die Seele sein könnte. Noch schöner wäre es vielleicht, jemand anders würde mir die
alten Geschichten vom Heilwerden und Heilsein erzählen, vorsichtig und aufmerksam, zugewandt und
ermutigend.
Das Seelenheil mag nicht einfach «in Kirchen» zu finden sein. Vielleicht aber zusammen mit Menschen, welche
die alten Geschichten der Kirche kennen, mit ihnen leben und sie - in heilsamer Dosierung - erzählen.
Veronika Jehle Pastoralassistentin St. Martin, Zürich
Der Turmbau zu Babel ist ein uraltes Bild für menschliche
Allmacht-Phantasien. Meistens wird mit dieser Erzählung -
aufgeschrieben im elften Kapitel der Genesis - technischer
Machbarkeitswahn kritisiert. Allerdings ist von einer solchen
Einschränkung im biblischen Text nichts zu finden. Gott zerstört
den Turm nicht. Er nimmt den Menschen auch nicht ihre technische
Fertigkeit. Vielmehr sagt er: «Ans Werk! Wir steigen hinab und
verwirren ihre Sprache, damit niemand mehr den anderen versteht!
» Während die Menschen «vorher noch alle dieselbe Sprache»
hatten, wurden sie nun «über die ganze Erde zerstreut». Die Folge
des Turmbaus war also nichts weniger als die Entstehung
verschiedener Völker und Kulturen. Gottes eigene Korrektur an
seiner Schöpfung.
Wenn Gott so fundamental vorgeht, wenn er unsere Sprache und
damit zwangsläufig auch unser Denken verwirrt, dann muss daraus
mehr als bloss
Kritik am technologischen Fortschritt folgen. Was also bedeutet der
Turmbau
zu Babel fundamental betrachtet? Was bedeutet die
Sprachverwirrung für den
Glauben?
Die Sprachenvielfalt führt dazu, dass wir uns auch im Reden über
Gott nicht mehr verstehen, nicht mehr dieselben Wörter
verwenden. Es gibt sie nicht mehr, die eine Sprache von Gott. Das
Reden von Gott wird vielstimmig, multikulturell, zeitlich und örtlich
zerstreut. Pluralismus wir von Gott gewollt und hergestellt.
Die Menschen waren mit ihrem Turmbau nahe daran, sich an
die Stelle Gottes zu setzen und damit selbst in den Besitz der
Wahrheit zu kommen. Genau das befürchtet Gott und genau das
verhindert er mit der Sprachverwirrung. So lange es die eine
Sprache von Gott nicht gibt, so lange kann keine Religion von sich
behaupten, die einzig richtige zu sein. Und wenn sie es doch
behauptet, wird am Ende Verfolgung, Krieg und Verderben stehen.
Dabei ist gerade die Religionsvielfalt sichtbarer Beleg dafür, dass
Gott unantastbar ist, dass die Menschen nicht an seiner Stelle
sitzen. Das ist ein tröstlicher Gedanke, weil er uns hilft, zwischen
Gott und Götzen zu unterscheiden. Wir werden zwar nie alleingültig
sagen können, wie Gott ist. Aber wir werden wissen, dass jeder,
der genau das von sich behauptet, in diesem
Moment einen Götzen installiert. Ebenso radikal ausgedrückt wie
Gott in der Genesis handelt: So lange es verschiedene Reden von
Gott gibt - so lange ist Gott am Leben.
Die Menschen mögen noch so viele Tempel bauen, die bis in den
Himmel reichen, ihre Türme werden letztlich doch immer nur als
erhobene Zeigefinger Gottes erscheinen, die darauf hinweisen, dass
über ihnen etwas ist, das sie nicht ausdrücken, nicht erreichen,
nicht ersetzen und nicht zerstören können.
. ! Thomas Binotto
Was ist «Seelenheil»?
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