Harvey Specter
(Gabriel Macht), einer der
Top-Anwälte
Manhattans, engagiert für
seine renommierte
Kanzlei den brillanten,
aber etwas
unmotivierten College-
Abgänger Mike Ross
(Patrick J. Adams). Dabei
müssen beide
verheimlichen, dass Mike
nie einen Abschluss
in Havard gemacht hat und
eigentlich gar nicht
als Anwalt arbeiten darf …
Schon wieder eine Anwalts-Serie. Obwohl das Genre für den amerikanischen Kabelsender USA abgesehen von einer Serie noch recht stiefmütterlich
behandelt wird, ereilt einen zunächst nur ein müdes Gähnen. Immerhin: „Fairly Legal“ startete im Januar, eine zweite Staffel ist bereits bestellt. Auch
wenn die Mediatorin Kate Reed (Sarah Shahi) bislang nicht einen so bleibenden Eindruck bei Serienfans hinterließ wie Michael Westen (Jeffrey Donovan),
Mary Shannon (Mary McCormack) oder Neal Caffrey (Matthew Bomer), sind bei USA Network „Characters welcome“, wie der Sender seit Jahren in
sämtlichen Werbetrailern versichert – es ist also immer Platz für ein paar mehr. Kein anderer Kabelsender hat derzeit so viele potentielle Serienformate
in der Entwicklung, auch halbstündige Serien sollen in Zukunft bei USA ein Zuhause haben.
Doch zuerst macht USA eben Platz für noch eine Anwaltsserie, angesiedelt in einer elitären New Yorker Kanzlei. Besonders
außergewöhnlich und einladend? Vielleicht nicht. Aber der Sender hält sein Versprechen: „Characters welcome“ – hier wird die
Botschaft ernst genommen. Wer bei „Suits“ aufsehenerregende Mordfälle oder überdreht exzentrische Anwalts-Schablonen vermutet, wird
schnell eines besseren belehrt. Stattdessen treten die Macher eindrucksvoll den Beweis an, dass auch in einem derart abgenutzten
Genre mit den richtigen Hauptfiguren und Darstellern noch herausragendes Fernsehen möglich ist – bewiesen wird auch, dass
Sommerserien nicht lieblos zusammengezimmerte Lückenfüller sein müssen.
Mike Ross (Patrick J. Adams) ist jung, hoch intelligent, hat das Zeug zu einem großartigen Anwalt – und ist vollkommen am Boden. Er hat keinen Job, wenig Geld und
mit Trevor (Tom Lipinski) einen besten Freund (und Drogendealer), der ihn zwar mit Gras versorgt, ihm aber ansonsten kaum je echte Freundschaftsdienste erweist.
Seine Gefühle für Trevors Freundin Jenny (Vanessa Ray) komplizieren die Situation zusätzlich. Mike hat nie ein Jura-Studium abgeschlossen, doch dank seines
fotografischen Gedächtnisses hat er die Anwaltsprüfung bereits mehrfach bestanden – für andere Leute, die ihn mal mehr oder weniger gut dafür bezahlen. So hat
Mike sein Einkommen als kleiner Betrüger, doch verdient er damit lange nicht genug, um seiner pflegebedürftigen Großmutter (Rebecca Schull) eine staatliche
Einrichtung zu ersparen. Dafür braucht Mike 25.000 Dollar und er braucht sie schnell. Wie schlimm kann es schon werden? Einfach eine Drogenlieferung für Trevor in
ein Nobelhotel bringen und das Geld gehört ihm. Doch Mikes Großmutter kennt Trevor. Sie will, dass dieser seine zweifelhafte Karriere beendet und warnt ihn
inständig: „Dein Leben war nicht einfach, aber du bist kein Kind mehr. Versprich mir, dass du ab jetzt dein Potential nutzt!“
Potential, das Harvey Specter (Gabriel Macht) praktisch sofort in Mike erkennt. Doch zunächst hat der Top-Anwalt in der elitären New Yorker Kanzlei Pearson/Handler
ein Problem: Er braucht Inspiration, einen weiteren Ausnahmeanwalt, mit dem er zusammenarbeiten kann. Seine Chefin Jessica Pearson (Gina Torres) würde es wohl anders beschreiben, sie
will lediglich, dass Harvey einen Protegé einstellt. Und der Neue muss natürlich ein Absolvent der Elite-Universität Harvard sein, so wie alle Anwälte, die bei der Kanzlei angestellt sind.
Keine gute Aussichten für Harvey, hasst er doch nichts mehr als Mitläufer und Mittelmäßigkeit. Er will keinen hirnlosen Klon an seiner Seite! Glücklicherweise kann er sich auf seine
Sekretärin Donna (Sarah Rafferty) verlassen, die in der Suite des gleichen Nobelhotels, in dem auch Mikes Übergabe stattfinden soll, gleich mit bissiger Zielstrebigkeit die Spreu vom Weizen
trennt.
Praktisch niemand kommt an ihr vorbei – bis Mike in die Suite stolpert und sich mehr als ungeschickt anstellt. Eigentlich ist er nur auf der Flucht vor der
Polizei, die etwas von seiner Drogenübergabe mitbekommen hat: „Ich versuche nur, die Cops loszuwerden, mir ist egal ob Sie mich reinlassen …“ Für Donna
die magischen Worte! Und als Harvey dann die Gras-Pakete aus Mikes Koffer vor die Füße fallen, ist er sofort fasziniert. Vor allem natürlich von Mikes
juristischem Wissen, seiner Lebensgeschichte und seiner Einstellung: „Ich wurde in ein anderes Leben geschleudert. Und seitdem wünsche ich mir nur noch
einen Weg zurück.“
Schließlich erhält Mike den Job, hat eine Chance, das benötigte Geld auf legale Weise zu verdienen. Als Gegenleistung verlangt Harvey, dass Mike sowohl das
Gras, als auch Trevor für immer links liegen lässt. Im Gegenzug wird Harvey Mikes nicht vorhandener Jura-Abschluss unter der Decke halten. Was gar nicht so
einfach ist, da Harveys Konkurrent in der Kanzlei, der intrigante Louis Litt (Rick Hoffmann), sofort damit beginnt, Mike auf Herz und Nieren zu testen.
Es
ist schon seltsam: Gerade, wenn man als Fernsehfan die Hoffnung fast schon aufgegeben hat in diesem Sommer noch wirklich beeindruckt zu werden, da erscheint
„Suits“ auf dem Bildschirm. Der Schlüssel zum Erfolg ist dabei so altmodisch, so klar und einfach, dass es fast schockierend ist: Casting! Gabriel Macht und Patrick J.
Adams sind nicht nur hervorragende Darsteller, die Harvey und Mike sofort zu dreidimensionalen Figuren machen. Ihre Chemie ist von der ersten gemeinsamen Szene
an unschlagbar. Wir sehen hier vielleicht das beste neue TV-Duo seitdem Sam und Dean Winchester in „Supernatural“ 2005 erstmals auf Dämonenjagd gingen.
So oberflächlich die Serien auf USA auch manchmal sein können, man kann Serienerfinder Aaron Kosh und den Produzenten von „Suits“ nur dazu gratulieren, dass sie
den Mut haben, sich auf ihre Figuren und deren Beziehungen zu konzentrieren und sich nicht mit dem Abarbeiten von Procedural-Fällen und den exzentrischen
Anfällen ihrer Hauptfiguren zufrieden geben. Die Fälle, die „Suits“ bislang präsentierte, sind so einfach, dass andere Serien sie zugunsten von Morden, Terrorplänen
oder Gangproblemen links liegen lassen: ein Patentantrag, ein Übernahmeverfahren und ein Auffahrunfall. Die juristischen Probleme sind vollkommen alltäglich und
gerade deshalb ausgesprochen interessant. Warum? Weil sie konsequent dazu genutzt werden, um Mikes Erfahrung als Harveys „Puppy“ von allen Seiten zu
beleuchten, seinen Überlebenskampf in dem neuen, egozentrisch-explosiven Umfeld charmant zu erzählen und vor allem, um die Freundschaft zwischen Mike und
Harvey zu stärken.
Eigentlich ist bereits jetzt klar, dass Harvey Mikes bester Freund ist und in Zukunft sein wird – nicht Trevor! Genau wie Mikes Großmutter
wird Harvey alles dafür tun, um dessen zerstörerischen Einfluss zu schwächen. Von Mike mehr zu erwarten, als von anderen in der Kanzlei, ihn so zu fordern
und zu fördern, ihm die Wichtigkeit des richtigen Auftretens und des eng sitzenden, teuren Anzugs beizubringen („Nimm deine dünne Krawatte aus meinem
Gesicht!“) – all dies ist fortan Harveys Job! Wie wichtig diese neue Beziehung für beide Anwälte ist, würden weder Harvey noch Mike zugeben, zumindest
noch nicht. So macht es bei „Suits“ genauso viel Spaß, zwischen den Zeilen zu lesen und die eigentlichen Absichten und Gefühle der Figuren zu entdecken.
Harvey und Mike sind brillante Charaktere, doch „Suits“ ist auch bis in die kleinste, wiederkehrende Nebenfigur hervorragend besetzt. Rick Hoffmann
verströmt als Louis eine wunderbar dominante Ruhe, die ihn sofort gefährlicher als jene Drogendealer erscheinen lässt, die hinter Mike und Trevor her sind.
Natürlich ist Louis praktisch andauernd nur einen kleinen Schritt von der Wahrheit entfernt, die für Mike und Harvey schlimme Konsequenzen haben könnte. In
ähnlicher Weise tritt auch Seniorpartnerin Jessica alias Gina Torres als Ratgeberin, aber auch als unumstößliche Autoritätsfigur in Erscheinung. Respekt und Furcht
liegen in diesen Machtstrukturen eng beieinander.
Eher weniger davon beeindruckt zeigt sich die junge Anwaltsgehilfin Rachel (Meghan Markle), die Mike in die Abläufe der Kanzlei einführt. Außerdem
muss sie ihn mehr als einmal daran erinnern, nicht ständig dünnhäutig zu reagieren. Manchmal hilft sie ihm, mal weist sie ihn elegant ab. In ihr Herz
geschlossen hat sie ihn aber garantiert. Der heimliche Star des Büros ist Donna, Harveys Sekretärin, wunderbar verkörpert von Sarah Rafferty. Donna tut
niemandem einen Gefallen, kennt jeden Schritt ihres Gegenübers im Voraus und lässt garantiert niemanden in Harveys Büro, wenn dieser nicht vor Ort ist.
Sich mit ihr anzulegen, wäre sicher die schlechteste Idee überhaupt. Hätten wir nicht alle gerne eine persönliche Donna, die uns davor beschützt, unsere
Zeit zu verschwenden?
„Suits“ hat mitten in einer bislang äußerst enttäuschenden Seriensaison bewiesen, dass auch Sommerserien, die oft einfach nur Spaß machen sollen, mit
qualitativ hochwertigem Fernsehen verbracht werden können. Meist schaffen es Serien nach einer vielversprechenden Pilotepisode nicht, das eigentlich
vorhandene Potential effektiv zu nutzen. Doch „Suits“ wird bislang mit jeder Folge besser, ein zur Ausnahme gewordenes Phänomen! So ist es leicht, jeder
weiteren Stunde mit Mike und Harvey entgegen zu fiebern. Einspruch abgelehnt.
Ralf Döbele ist Jahrgang 1981 und geriet schon in frühester Kindheit in den Bann von „Der Denver-Clan“, „Star Trek“ und „Aktenzeichen
XY …ungelöst“. Davon hat er sich als klassisches Fernsehkind auch bis heute nicht wieder erholt. Vor allem US-Serien aus allen sieben
Jahrzehnten TV-Geschichte haben es ihm angetan. Zu Ralfs Lieblingen gehören Dramaserien wie „Friday Night Lights“ oder „The West
Wing“ genauso wie die Prime Time Soaps „Melrose Place“ und „Falcon Crest“, die Comedys „I Love Lucy“ und „M*A*S*H“ oder das „Law &
Order“-Franchise. Aber auch deutsche Kultserien wie „Derrick“ oder „Bella Block“ finden sich in seinem DVD-Regal, das ständig aus allen
Nähten platzt. Ralf ist als freier Redakteur für fernsehserien.de tätig und kümmert sich dabei hauptsächlich um tagesaktuelle News und
um Specials über die Geschichte von deutschen und amerikanischen Kultformaten.
Mike Ross (Patrick
J. Adams) ist kein
typischer Anwalt
,,Suits”
Harvey Specter (Gabriel
Macht) nimmt mit der
Anstellung von Mike
großes Risiko auf sich
Rachel (Meghan
Markle) versteht es,
den Neuankömmling
an der kurzen Leine
zu führen
Donna (Sarah
Rafferty) ist die
beste Sekretärin, die
man sich wünscht
Die Anwaltskanzlei
in „Suits“
Artikel von Ralf Döbele